heute (04.09.2019) ist für mich ein spezieller tag
nicht nur geburtstag, sondern sowas ähnliches wie „fifty-fifty“:
22 jahre „wessi“
22 jahre „ossi“
(disclaimer: ich mag beide begriffe nicht!)
vor 22 jahren, im september 1997, bin ich nach ilmenau gezogen, um dort das studium der wirtschaftsinformatik aufzunehmen. ich habe mich bewusst für diesen kleinen, idyllischen ort im thüringer wald entschieden, weil der ruf der TU ilmenau damals schon ausgezeichnet war und ich auch neugierig war, auf die neuen bundesländer und die entwicklungen der nachwendezeit, die noch voll im gange waren.
später hat es mich nach leipzig verschlagen, wo ich mich schon lange sehr wohl und heimisch fühle.
leipzig ist sicher nicht die typische „ost-stadt“, genauso wenig wie meine oberfränkische heimat, das fichtelgebirge, nicht unbedingt „typisch west“ waren und sind (allein schon aufgrund der jahrzehntelangen zonenrandlage…), und vielleicht ist es daher auch längst besser, diese unterschiede hinter uns zu lassen. wie gesagt: die begriffe „ossi/wessi“ mag ich sowieso nicht!
nur: die realität ist eben eine andere. alte und neue bundesländer sind noch immer grundverschieden!
die landtagswahlen am letzten wochenende haben das leider erneut gezeigt. ja, der union unter michael kretschmar ist es in sachsen immerhin gelungen, den stempel „dunkel-afd-land“ zu vermeiden. aber bei 27% für die afd darf man ganz unverhohlen fragen: was ist da eigentlich schief gelaufen? und ja, diese frage bekomme ich von meinen westdeutschen freunden regelmässig gestellt :-/
ich habe viele erklärungs-ansätze, die hier etwas den rahmen sprengen würden. aber in den letzten tagen kam ich über einen text der krautreporter, der krass lang ist (wirklich!), aber der sich erstaunlich gut mit den entwicklungen, fehlern, aber auch erfolgen der treuhand beschäftigt, zu einem weiteren blickwinkel.
grob zusammengefasst: der eindruck, dass es sehr viele wende-verlierer gab, die dies über jahre hinweg selbst kaum belegen konnten, aber zu einem diffusen gefühl führte, man wäre „vom westen über den tisch gezogen“ worden, wird mit vielen fakten teils belegt, teils widerlegt.
super spannend zu lesen! wer den ganzen text (30 pdf-seiten!) lesen mag, pingt mich auf dem passenden kanal einfach kurze an 😉
ab morgen bin ich also länger „ossi“ als „wessi“, oder anders: ich bin dann länger in einem umfeld der ständigen veränderung, der neuorientierung, des aufbruchs, hinfallens und krone richtens, als ich im vermeintlich „stabilen westen“ leben durfte. klar, auch dort ist die welt in den letzten 30 jahren nicht stehen geblieben. aber: die festen strukturen, die geübte routine und vieles mehr haben die veränderungen lange nicht so hart ausfallen lassen, von den grundlegend anderen ausgangslagen vor 30 jahren mal ganz zu schweigen!
bin ich damit nun auch „ossi“!? eher nicht 😉 zugezogene werden auch in bayern erst in dritter generation „einheimisch“ 😀 aber auch ein „wessi“ bin ich schon lange nicht mehr, siehe oben…
trotzdem: zwei sichtweisen auf dieses land zu haben, hilft auch dabei, nicht in panik zu verfallen. ich sehe die politik weiterhin in der pflicht, die wirtschaftlichen lücken zwischen ost und west zu schliessen, ich warne ausdrücklich davor, mit dem „besser-wessi“-zeigefinger nur auf vermeintliche nazis im osten zu zeigen, und würde mir mehr gesamtdeutsche biografien wünschen, wie ich sie selber inzwischen erlebt habe. und natürlich muss man auch offen und ohne blatt vor dem mund über fehler, über erfolge, über falsche versprechen und über zu viel wunschdenken in der nachwendezeit sprechen.
dann klappt es auch mit der längst überfälligen emotionalen wiedervereinigung <3
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